Mobile Tagging in den Stuttgarter Nachrichten
Handy
Das Ende der TastaturMit Hilfe zweidimensionaler Codes können Mobiltelefone jetzt lesen
Der Mensch liebt Rätsel. Das Entziffern kryptischer Codes und Muster ist von alters her eine Beschäftigung der Wissenden. Heute tauschen wir Wissen gegen Equipment. Die Maschine ersetzt Probieren und Studieren. Und die Universalmaschine des mobilen Menschen? Das Handy? Seit kurzem spricht es eine neue Sprache: 2-D-Codes. Anders als die bekannten Barcodes von der Milchpackung haben diese Codes zwei Richtungen und kodieren auf nur 9 Quadratzentimetern bis zu 500 Zeichen. So viele wie dieser Absatz hat.
Technisch gesehen sind 2-D-Codes keine neue Erfindung. Der in Japan am weitesten verbreitete namens QR-Code – QR steht für Quick Response – wurde bereits 1994 entwickelt. Der eigentliche Zweck war die maschinenlesbare Markierung von Automobilteilen. Allerdings wurde schnell klar, dass der Hauptnutzen in der automatischen Datenerfassung mit einfachen Geräten liegt. Visitenkarten zum Beispiel können, mit einem 2-D-Code bedruckt, ohne Tippen (oder Vertippen) aufs Handy geladen werden.
Es gibt mehrere Codearten. Die beiden wichtigsten sind QR und Datamatrix. Den Datamatrix-Code aus den Achzigern finden Sie seit einigen Jahren zum Beispiel auf Ihrer Telefonrechnung. QR und Datamatrix kommen mit einem Algorithmus und einer simplen Zeichentabelle aus. Andere Derivate wie etwa der wabenförmige BeeCode oder Shotcode, der aussieht wie eine Dartscheibe, verweisen lediglich auf Internetseiten oder benötigen als Referenz eine Online-Datenbank, in der die Codes mit ihrer Bedeutung gespeichert sind.
Der Reiz solcher Codes für die Industrie liegt darin, Dinge zu schreiben, die nur lesen kann, wer das auch möchte. So druckt eine bekannte Schnellrestaurantkette in Japan Codes auf ihre Brötchenpackungen. Zu dechiffrieren mit einem der zahlreichen asiatischen Handys, die den Code inzwischen lesen können: die Ernährungswerte des gerade erworbenen Burgers.
Wer die digitalen Hieroglyphen entziffern möchte, kann sich, ein geeignetes Mobiltelefon vorausgesetzt, eines der zahlreichen Programme direkt auf sein Mobiltelefon laden, zum Beispiel unter http://reader.kaywa.com. Wie neu die Entwicklung allerdings ist, zeigt bereits, dass Nokia Deutschland, der selbst ernannte Vorreiter der Technologie, nach eigenem Bekunden erst durch unsere Recherchen vom Kaywa-Reader erfahren hat. Die teuren Modelle der Oberklasse werden aber zum Teil schon mit einem eigenen CodeReader ausgeliefert. Mitbewerber Sony Ericsson hält sich bedeckt, bei unserem Test spuckten die kompatiblen Geräte aber zuverlässig den Sinn der schwarz-weißen Muster aus. Motorola hingegen lässt die Software nicht durch die Kamera der meisten Modelle gucken – kein Bild, kein Text.
Hier zu Lande sind die Codes noch rar. Man entdeckt sie aber immer häufiger in Zeitschriften und in der Werbung, wo sie vor allem Telefonnummern und Internetadressen enthalten. So druckt das Staatstheater in Darmstadt QR-Codes auf seine Plakate. Nimmt man diese mit der Handykamera ins Visier und drückt ab, läuft zwei Klicks später ein Clip vom Stück auf dem Display. Gerade im Hinblick auf die immer günstigeren Internettarife der Mobilfunkanbieter dürfte sich hier in nächster Zeit ein enormes Potenzial für diese tastaturfreie Texteingabe ergeben. Denn wer will schon mühsam eine Internetadresse eintippen?
Doch auch ohne das Internet zu bemühen, ergeben die Handycodes einen Sinn. So kann man bald an etlichen Bushaltestellen den Fahrplan herunterladen (“downloaden”). Die Abfahrtszeiten werden per Code vom Handy erfasst. Nachtschwärmer oder Spätaufsteher verpassen nicht den Bus, weil es kurz vor der Abfahrt automatisch piept.
Natürlich gibt es die junge wilde Szene der so genannten Mobiletaggern, die T-Shirts mit Codes bedrucken, oder gar Fanatiker wie die Südafrikanerin Melissa, die ein Shotcode-Tattoo im Nacken trägt. In ihrem Webtagebuch schreibt sie allerdings, dass es auf die falsche Internetseite verweist. Ein schmerzhafter Tippfehler.
Besonders charmant ist eine andere, eher unkommerzielle Nutzungsidee: Die Informatikerin Nadja, die tagsüber in Frankfurt Telefonkarten für einen deutsch-französischen Konzern programmiert, schreibt Haikus, die sie als Tags in die Tristesse der Stadt klebt. Die Szene treibt bunte Blüten in Schwarz-Weiß.
Philipp Contag-Lada, StN
03.09.2007